GESCHICHTE UND PERIODEN DER TÜRKISCHEN MUSIK
Çetin Körükçü
Die türkische Musik-Geschichte, die sich mit dem Musikinteresse der Türken seit ihrem Auftritt in der Geschichtsbühne beschäftigt, konnte bis heute nicht ausführlich erforscht werden. Wenn man bedenkt, dass die Geschichte mit Erfindung der Schrift begonnen hat, schließt die Epoche, in der die Türken sich mit schriftlichen Dokumenten ausgedrückt haben, nur die letzten 1500 Jahre ein. Über Quellen bezüglich der türkischen Kultur in den vorherigen Epochen verfügen wir leider nicht. Das hat zu bedeuten, dass unsere Daten in Bezug auf die türkische Geschichte und sowohl auf die türkische Kultur- und Kunst sehr beschränkt sind. Auch wenn wir für einen Augenblick die Beschränktheit der Quellen außer Acht lassen und die Erklärungsschwierigkeit der türkischen Musik ohne schriftliche Unterstützung übersehen, wird es doch aufschlussreich sein hier andere Probleme zu erörtern, die genau so wichtig sind. Die Türken sind mit ihren verschiedenen Lebensarten ein großes Volk, die auf einer ziemlich weiten Geographie sehr verschiedene Staaten gründeten oder in deren Verfassungen lebten. Wenn über die türkische Musikgeschichte gesprochen wird, ist es außerdem eine relevante Frage, welche Epoche der Musik von welchen türkischen Stämmen gemeint ist. Es scheint schwierig zu sein, ein Licht auf die vorherigen Epochen zu werfen, wobei man den achthundert jährigen Abschnitt der türkischen Musik auf Grund schriftlicher Quellen versucht zu verstehen.
Aber trotz diesen Schwierigkeiten vermitteln uns manche chinesischen Quellen Informationen - wenn auch beschränkt - über die Musik der früheren Uiguren und Hatay Türken (Hıtay, Kutay). Gleichwohl geben die Befunde, die sich bei den archelogischen Ausgrabungen im innern Asiens ergeben haben, darüber Bescheid, dass die Hunnen, Gök Türken und die Uiguren eine hoch entwickelte Musikkultur hatten. Es ist bekannt, dass in dieser Musikkultur verschiedene Instrumente, ein authentisches Notensystem und ein reiches Musikrepertoire vorhanden sind. Je weiter sich die Erforschungen bezüglich der türkischen Geschichte entwickeln, desto mehr werden sich auch unsere Kenntnisse über die türkische Musikgeschichte entwickeln.
Obwohl über die Herkunft der türkischen Musiktradition, die heutzutage in der Türkei herrscht, vieles gesagt werden kann, bedarf es auch ihre Herkunft aus Asien zu erwähnen und die Einflüsse in Anatolien in Acht zu nehmen. Wenn von der türkischen Musik gesprochen wird, denkt man an die authentischen Musikkulturen der türkischen Volksgruppen, die sich auf verschiedene Gebiete der Welt verbreitet haben und das ist meistens Musik, die unterschiedlichen Charakter aufweist. In früheren Zeitaltern, in denen die Musikmacher und Ausführer noch dieselben Personen waren, und die traditionellen Klänge im Alltag in derjenigen Zeit von neuem bearbeitet wurden, nahm man die Musik als ein heiliges Element auf. Diese Gesamtheit der Klänge, die durch aneinanderreihen von Naturklängen hervorgebracht wurden, betrachtete man als Magie und gab ihnen besondere Bedeutung und diese Musik konnte nur von sonderlichen Leuten ausgeübt werden. Leute wie Kam, Baksı und Ozan (Volksdichter), die Geistliche gesellschaftliche Führer, Zauberer und Dichter waren, waren gleichzeitig auch Musiker. Neben der sozialen wurde auch die religiöse Funktion der Musik durch diese Personen gewährleistet und ausgeführt. Demnach wurde die Ganzheit des religiösen- und sozialen Lebens mit der gleichen Musik bestimmt, ähnliche Klänge brachten also die Musik des Lebens hervor.
Weil die Türken bis zu der Ankunft in Vorderasien die Gesellschaftsstruktur eines wandernden Volkes aufwiesen, sind ihre Instrumente die sie bei der Ausübung ihrer Musik benutzten, immer leicht zu tragende Instrumente gewesen. Das Tonsystem ihrer Musik ist parallel zu dieser Beschaffenheit strukturiert worden und enthält durchaus natürliche Klänge. Tonsysteme, deren Klänge eine Bildungsphase durchmachten und mit einem authentischen Bewusstsein arrangiert wurden, sind in den ersten Epochen nicht angewendet worden. Allerdings sollte hier bemerkt werden, dass die türkische Musik einige Eigenschaften hat.
Eine von diesen Eigenschaften ist, dass die türkische Musik überwiegend in Begleitung mit Worten ausgeübt wird. Manche Musikwissenschaftler bezeichnen die türkische Musik sogar als eine wörtliche Musik. Dass Literatur und Musik untrennbar voneinander sind, hängt mit der Mission die der Wörter zusammen. Die Türken hatten sogar in der Epoche, in der es noch keine Schrift gab, eine erhebliche, mündliche Literatur entwickelt. Es ist möglich, die Spuren dieser Tradition bis in die Epoche des Epos zurückzuführen. Diese Literatur, die die Spuren aller Abschnitte des sozialen Lebens und philosophische, pastorale und didaktische Beispiele enthält, ist das Ergebnis der Mission und der Relevanz, die die Türken dem Wort auferlegt haben. Solch ein hochentwickelter Wortschatz, die Schaffung der gesellschaftlichen Einheit, die Anwendung der Tradition, um zwischen den Generationen eine Verbindung herzustellen, hat ein enormes Repertoire zustande gebracht. Es ist eine Tatsache, dass Musik ein Mittel dafür war, um das Wort zu begleiten und es wirksamer zu machen. Das instrumentale Repertoire bildet zwar einen sehr wichtigen, aber einen kleinen Teil dieser Musik. Die zweite wichtige Eigenschaft ist, dass die in bekannten Epochen existierende türkische Musik eine bestimmte Tonart besitzt. Es ist bekannt, dass dieses System der Tonart sich von den heutigen unterscheidet. Zum Beispiel ist das Musiksystem, das in Asien – heute noch bestehend - angewendet wird ein pentatonisches (fünf toniges) Musiksystem. Je weiter nach Vorderasien, Anatolien und den Balkanen gewandert wurde, übernahm man mehr und mehr die Musik mit bestimmter Tonart. Obwohl solch eine kurze Zusammenfassung des geschichtlichen Verlaufs der türkischen Musik nicht ausreichend ist, ist es möglich, die Entwicklungen der Arten und ihre Stellungen in der türkischen Musik in den betreffenden Abschnitten (Arten in der türkischen Musik) zu finden. Die breiten Perioden, die unten angegeben sind, werden im Abschnitt der Arten einer ausführlicheren Behandlung unterzogen und somit wird der türkischen Musikgeschichte eine einheitliche Ansicht gewährleistet.
Demnach kann im Allgemeinen der Verlauf der türkischen Musikgeschichte in drei Hauptepochen untersucht werden:
Die türkische Musik vor dem Islam
Die türkische Musik nach dem Islam
Mit der Republik begonnene moderne türkische Musik
1. Die türkische Musik vor dem Islam
In dieser Epoche, die man als eine dunkle Epoche in der Geschichte der Türken bezeichnen kann, ist es ganz gewiss dass die Kulturen und Religionen, die aus der Zeit vor dem Islam stammen, eine wichtige Rolle spielen. Besonders mystische Faktoren wie der Schamanismus, Manichaeismus und Buddhismus und die Tradition des Eposgesangs waren in dieser Epoche fast in allen türkischen Stämmen verbreitet. Die Geistlichen, die an die Naturgewalten glaubten und Namen wie Schaman, Kam und Baksı annahmen und manche Personen, die Missionen wie die Dichtung auf sich genommen hatten, übten einerseits mit der Trommel in der Hand die Heilkunde, die Dichtung und die Mission der Geistlichen aus, andererseits versuchten sie, die sozialen Bedürfnisse der Gesellschaft wieder mittels der Musik zu lösen. Unter den oben erwähnten türkischen Volksgruppen sind solche Personen manchmal einflussreich geworden und haben dabei auch die Musik beeinflusst. In den Epochen, in denen die türkischen Stämme begannen, nach Transoxanien überzusiedeln (8. und 9. Jahrhundert) sieht man nun Künstlertypen, die mit ihrem Kopuz (ein- oder mehr saitige Gitarre in Birnenform) in der Hand Melodien darauf spielen und dabei singen. Der Musiker, der als Ozan (Volksdichter) bezeichnet wird, hat seine Musiktradition und die Gesangsart neben seinem als Kopuz bezeichneten Instrument aus Asien mit sich gebracht. Obwohl die Musik-Kenntnisse über die im inneren Asiens ansässigen Hunnen, Uiguren und Göktürken beschränkt sind, verfügt man über die Turkmenen viele Kenntnisse, welche einer von den türkischen Nomadenstämmen sind. Die Turkmenen bilden nämlich einen wichtigen Teil der türkischen Volksgruppen, die in der heutigen Türkei leben. Sie sind sozusagen eine Kulturbrücke zwischen den asiatischen Türken und den Türken der Türkei. Die türkischen Stämme, die seit Mitte des 9. Jahrhundert n.Chr. sich dem Westen zuwanten und angefangen mit dem türkischen Stamm Karahanlı den Islam annahmen, fingen damit an, in ihrer Lebensweise und Kulturstruktur Veränderungen aufzuzeigen. Es war unvermeidlich, dass sich diese Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens in der Musik spiegelte. Obwohl sie in der Struktur ihrer Musik den asiatischen Stil desgleichen fortführten, machte sich in den Texten ihrer Lieder der Einfluss der Religion immer noch bemerkbar. Allerdings zeigt sich in den Texten,im Gegensatz der strengen Religiösität, Toleranz und Gottesliebe.
2. Die türkische Musik nach dem Islam
In dem türkischen Leben das sich mit dem Islam entwickelt und diversifiziert hat, nahm auch die Musik zweifellos einen wichtigen Platz ein. Mit dem Eintreten der Türken in den Kulturkreis des Islams hat sich die Veränderung ihrer Musikkultur hauptächlich in ihrem Musiksystem gezeigt. Wenn auch der Charakter der Makam-Musik (Tonart) keine nur mit dem Islam zu identifizierende Beschaffenheit ist, ist es doch sicher, dass es in der türkischen Musik davor mehrere Musiksysteme gab. Die Türken, die nach den pentatonischen und heptatonischen Tonsystemen mit den Einflüssen der von der asiatischen und anatolischen Tonmusikart bekannt wurden, sind in diesem Bereich ziemlich vorangekommen und haben Meisterwerke geschaffen.
Nach dem XIII. Jahrhundert ist festzustellen, dass sich auch eine islamisch- türkische Literatur entwickelte. Das Interesse an Dichter und Philosophen wie Yunus Emre und Mevlana war bei der Entstehung der neuen Musik wirkungsvoll. Zusammen mit dem Osmanischen Reich wirkte auch die Musikkultur für prächtige Phasen in der Geschichte mit. Eines der wichtigsten Musik-Entwicklungen im XIII. Jahrhundert sind die Versuche, die Musik zu systematisieren; Kitab’ül Edgar von Safiyüddin Urmevi ist in diesem Sinne das erste und wichtigste Werk.
Yusuf b. Nizameddin aus Kırşehir,Meragalı Abdülkadir, Hızır b.Abdullah, Ahmedoğlu Şükrullah , die in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts lebten, sind die ersten Personen, die im Bereich der Osmanenmusik und Musiksysteme die ersten Untersuchungen unternahmen. Der innere Teil des Sultanenpalastes (Enderun) und Mızıka-i Humayun, das als Konservatorium des Palastes anzusehen ist, waren die späteren Stätten für Musikausbildung und das Milieu, in dem sich diese Musik zwischen den Eliten der Osmanen verbreitete. Das kulturelle Erbgut, dass das Reich der Seldschuken dem Osmanenreich hinterließ und das Erbgut das die Türken von den alten Völkern Anatoliens übernahmen, hatten in jeder Phase des Osmanischen Reiches belebt und hoch entwickelt. Obwohl sich ihre Wurzeln im Inneren Asiens befinden, verbreitete sich die Makam-Musik im ganzen Becken des Mittelmeeres und ihre authentische und fortgeschrittene Anwendung ist in der türkischen Musik anzutreffen. Es kann von einer türkischen Musik geredet werden, die bis zum ersten Viertel des XX. Jahrhunderts in Städten und Dörfern in den verschiedensten Lebensphasen mit ihren eigentümlichen Arten und Formen belebt wurde. Diese Musik ist bereichert mit den Bedingungen, die jede Phase und jedes soziale Ereignis selbst hervorgebracht hat, und konnte sich bis in die Gegenwart durchringen und weiterleben.
So sah es bis Anfang des XX.Jahrhunderts bei der klassischen osmanischen türkischen Musik aus; außerdem gibt es auch noch eine Volksmusiktradition, dessen Ursprung auch aus der Musikkultur in Asien stammt und heute überall in Anatolien lebt. Die örtlichen Künstler und Volksdichter (Aşık) haben ein reiches Repertoire zustande gebracht, in dem alle von der türkischen Gesellschaft erlebten natürlichen und sozialen Ereignisse beschrieben werden.
3. Mit der Republik begonnene moderne türkische Musik:
Das erste Viertel des XX. Jahrhunderts hat in Anatolien ein vollständig neues politisches Gebilde mit sich gebracht. Man kann sagen, dass das XX. Jahrhundert das in der Geschichte der Türken den Anfang einer neuen Epoche bildet, eine Epoche ist in der die Türken die Kultur des Westens und somit auch ihre Musik am intensivsten erlebt haben. Mit der westlichen aufklärerischen Auffassung im XX.Jahrhundert entstand auch in der Türkei eine gänzlich verschiedene Konstitution. Die bis zu dieser Zeit im Hintergrund gebliebene Volkskultur kam zum Vorschein; Studien über Volksmusik und Sammlungen wurden beschleunigt.
Einerseits wurde die moderne Musik des Westens gelehrt, andererseits waren Musiker, die in Anatolien Melodien sammelten, Wegbereiter einer vollständig neuen Bewegung. Mittels dieser Arbeiten wurden etwa 20 000 Melodien zusammen gesammelt und zahlreiche Werke über Instrumente, Arten und Formen geschrieben. Im Integrations-Prozess der türkischen Musik mit der modernen Zivilisation des Westens hatten Volksmelodien eine relevante Aufgabe. Heute nimmt die Volksmusik einen wichtigen Platz auf dem Musikmarkt ein. Dennoch wird in den Konservatorien und an den Musikhochschulen moderne türkische Musik gelehrt, welche in dem betreffenden Kapitel noch ausführlich behandelt wird. Die Republik als ein neues politisches Regime ist gleichzeitig auch ein Modernisierungsprojekt. Die zu dieser Zeit gegründeten Orchester, Ballet- und Operngemeinschaften und Chore, der sich entwickelnde Musikmarkt und die heranwachsenden Komponisten haben dazu beigetragen dass die türkische Musikkultur sich mit der modernen Welt getroffen hat. Studien der modernen Musikwissenschaft und Puplikationstätigkeiten sind bedeutenswerte Aspekte der Musikbewegungen in letzter Zeit.